
Das freie cineastische Rollenspielsystem Wushu (zentrale Fansite (engl.), deutsches Regelwerk-PDF) von Daniel Bayn hat in einem ersten Sponti-Playtest einen guten Eindruck gemacht (wir zockten spontan den nochmal verkürzten Wushu Kurzschocker „Das Schwarze Schwert“). Für den zweiten Anlauf – und ersten „richtigen“ Test – geht es dann auch gleich in eine eigene Settingwelt, um zu sehen ob Wushu für uns auch anders als „wild & wahoo“ funktioniert. Falls Wushu dabei verliert, das Setting aber Fun bringt, setze ich es als Open D6 fort (ja, es ist da, und alle alten D6 Bücher gibt es offiziell als FREE DOWNLOAD, z.B. D6 Adventure, D6 Fantasy, D6 Fantasy Creatures, D6 Adventure Locations und D6 Space Ships). Und falls bis dahin mir jmd. sagen kann wohin die offizielle Wushu-Website bayn.org verschwunden ist, verlinke ich auch gerne gem. Creative Commons dahin.

Dieselpunk. eine Unterart des Steampunk. die in einer vom Retro-Futurismus geprägten Welt spielt, in der moderne Technik nicht durch Dampfmaschinen, sondern durch Dieselmotoren angetrieben wird, angesiedelt in einem idealisierten frühen 20. Jahrhundert (20er bis 50er Jahre).

(Bild via Ottens)
Entlang der Main Street dröhnt der Verkehr. Laut röhrt die Hupe eines Stagmasters, dessen Silbergeweih-geschmückter Fender fast Bekanntschaft mit einer Schienendroschke gemacht hätte. Über den Köpfen rumpelt die Hochbahn auf genieteten Stahlbrücken über sechs Ebenen. Licht erreicht die Tiefe der Main selten. Kein Wunder, dass die untere Ebene „Schluchtenstadt“ genannt wird. Oben, jenseits des Nebels, erstrecken sich Hochbrücken und Freiplätze. Glänzt das Gold der Siegessäule über dem Triumphbrunnen. Schrauben sich Wolkentürme mit kunstvollen Steinmetzarbeiten in die Höhe, wachen Wasserspeier über die Portale von Weltunternehmen wie der Mauritz Bank oder dem Stahlgiganten Vanderdam. Dort oben kreuzen die opulent ausgestatteten Zeppelinclubs, und manchmal sieht man selbst in der Tiefe das Feuerwerk über den Dachgärten des Clubs der Söhne. Zu sehen ist die Schluchtenstadt von oben selten. Nur wenn der Regen gerade einsetzt, den Dampf verweht, doch die Straßen noch nicht in den Gischtnebel hüllt, sieht man die Leuchtreklamen von Metropol Theater, Dime Club oder das ferne Glimmen der Essen von Hell’s Gate.
20 Jahre ist es her, da zitterte die Schluchtenstadt vor dem Terror der Hand: Einem ruchlosen Verbrechersyndikat, finanziert aus unbekannter Quelle, zusammengeschmiedet von Gier und Korruption, Engelsstaub und Gin, Fleisch… und Blut. Immer wieder Blut. Es war ein Zusammenschluss der Aufrechten, der das Syndikat der Schwarzen Hand samt ihres Anführers zu Fall brachte. Und teuer dafür bezahlte – denn die meisten der „Liga“ fanden im Schmutz der Straße den Tod. Allen voran der Gründer der Liga, Ephraim Ruthven, ein exzentrischer großindustrieller Milliardär und vor seinem Tod alleiniger Inhaber der Goldschmittwerke nach Ermordung seines Partners Nicholas E. Lark.
Auf ihn hat es die Gestalt, die sich eben aus den Schatten der Narbengasse löst und zur offenen Fondtür des Stagmasters eilt, besonders abgesehen. Auf seine Erben. Seinen Namen. Und all die wenigen, die seiner Rache vor zwei Jahrzehnten entkamen.
Das Setting in Kurzform
Setting Beschreibung: Nachkommen und Überlebende einer vor 20 Jahren im Kampf gegen das Verbrechersyndikat der „Schwarzen Hand“ untergangenen Liga der Aufrechten kämpfen in einer von Korruption und Machtgier zerfressenen Riesenstadt gegen den Schatten ihrer Vergangenheit.
Inspiration: Das Pulp und Film Noir Genre im Generellen, das Dieselpunk Genre (besonders zu empfehlen: dieselpunks.org) im Speziellen, auch Burtons Vision von Gotham City und Langs Vision von Metropolis, plus ein Schuss „Liga der Außergewöhnlichen Gentleman“ minus Magie.
Lizenz zum Reinhauen: In einer überwältigend düsteren und hoffnungslosen Post-Steam Welt, die ihrem Ende oder einem großen Krieg entgegentaumelt und deren morallose Gier von der Kraft des Diesels beherrscht wird, sind die Charaktere einige der wenigen Lichtpunkte – obgleich viele von ihnen nur deshalb den Kampf aufnehmen, um ihrem eigenen Tod und der Rache des Mannes hinter der Hand zu entgehen.
Chi ist: die Hoffnung. Du verlierst sie, wenn das Böse Dich verschlingt oder Du zulässt, dass das korrupte System dir Fesseln anlegt.
Beispielkonzepte für Charaktere: abenteuerlustige Ruthven-Erbin, desillusionierter Liga-Veteran, nassforscher Mechaniker, abgebrühter Privatermittler, draufgängerischer Schmuggler, idealistisches Flieger-As, wütender Knochenbrecher, zynischer Playboy, alternder Gelehrter, verruchte Nachtschwalbe, politische Aktivistin, alkoholkranker Kriegsheimkehrer, Pistolen schwingender Abenteurer, leichtlebiger Rennfahrer, elitärer Neuweltler, gewandter Tunnelkrabbler, exzentrische Kuratorin, paranoider Verschwörungstheoretiker
Typische Aufgaben: Überlebe einen Anschlag auf Dein Leben aus Rache für Dinge, die Deine ermordeten Eltern vor 20 Jahren getan haben, verfolge Spuren vom Tatort zu einer versteckten Lagerhalle in den Tunneln unter Hell’s Gate, zerschlage die Operationen eines Handlangers, schleuse Dich an Kontrollen vorbei in die Oberstadt, um in einem schwebenden Zepellinclub den Nemesis und seine Schergen zu stellen.
Passende Merkmale: Schluchtenwissen, Doppelleben, Fassadenklettern, Ermittlungen, Hart wie Vanderstahl, Knochenbrechen, Ruheloser Rachegeist, Bombenbastler, Schenkelspreizer-Charme, Büchernarr, Nebelsinne, Ich weiß wo’s lang geht, Amokfahrer, Oberstädter, Gewerkschaftsführer, Wahnsinnspilot, Waffenfreak, Um den Finger wickeln, Gibt nie auf, Last Mann Standing, Gebaut wie ein Schrank, Handtaschen-Fu, Hat immer einen Plan B, Flinke Beine, Katzengeschick, Teuflisches Glück, Eiserne Contenance, Sunnyboy, Maßloser Wüterich, Redfield Absolvent (elitäre Altwelt-Uni mit ritterlichen Traditionen), Träger des Victoria Ordens, Ballroom Champion, Schluckspecht, Schleicher, Tiefe Taschen
Passende Schwächen: Ehrenmann, Wahnsinnig, Engelsstaubkrank, Alkoholiker, Verkrüppelt, Entstelltes Gesicht, Kann nicht nachgeben, Verletzter Stolz, Gefahrensüchtig, Aschenkrank (Asthma), Kurzsichtig, Womanizer, Übertriebene Standesdünkel, Arm wie eine Aschenratte, Polizeilich gesucht, Bestechlich, Zockernatur, Nihilist, Maschinenstürmer, Neidvoll, Kann einfach nicht die Klappe halten, Unzuverlässig, Höhenangst
Mooks: Bullen, Knochenbrecher, Soldaten, Hochbahnschaffner, Bandenmitglieder, Straßenkämpfer, Umstürzler, Terroristen, Handlanger, Maschinenstürmer, Sektierer, Wütende Menschenmenge
Nemeses: Attentäter, Polizeioffiziere, Comissioner, Clubbesitzer, Bandenchefs, Schwarzmarktherrscher, Adelige, Großindustrielle, Wortführer, Wissenschaftler, Finger der Hand
Beispielbeschreibungen:
[1] Immer noch lächelnd – stecke ich der Schwalbe am Eingang einen Zwanzigerchip ins Dekolleté – und sage: „Federchen, zeig Deine Ware lieber Leuten Deiner Ebene. Wenn wir was miteinander hätten, wärst Du diejenige die dafür Chips lassen müsste“ – und noch ehe sie reagiert – gehe ich unter ihrem empörten Blick ins Innere des Clubs.
[2] Laut bellt die Bleipuste des Schranks vor mir – unterdessen mich der wuchtige Hieb des Treffers rückwärts – und über den Tisch hinter mir treibt. – Zwischen Gläsern und Chips zu Boden gehend – fluche ich über mein verdammtes Schicksal – während der Aufprall mir die Luft aus den Lungen treibt – und ich schmerzhaft an meine angeknackste Rippe erinnert werde.
[3] Ich nehme die Kurve mit Vollgas – um noch in der Drehung die Handbremse zu ziehen. – Auf dem Dreck der Schluchtenstraße finden die Räder keinen Halt – und quer zur Straße schliddern wir in die Auslagen eines Obstgeschäftes. – Während Äpfel, Orangen und Birnen um uns regnen – sage ich lässig über die Schulter – „So, jetzt haben wir Wurfgeschosse“ – und steige wieder aufs Gas.

(Bild von Patrick Reilly)
Konzeptionelle Erwägungen
Tja, soweit die ersten Ideenskizzen. Großteile des weiteren Settings erstelle ich dann im Dialog mit den Spielern. Mal sehen, wohin uns das führt.
Was den Namen der Stadt angeht bin ich übrigens noch am Grübeln. „Gotham“ oder „Metropolis“ wären beide naheliegend, sind aber beide von DC Comics zu sehr vorbelastet (witzig: ich wusste gar nicht dass Supermans Stadt Metropolis heißt – da kann man schon sehen, wie wenig ich mit Superhelden im Generellen und dieser Totalnulpe im Speziellen anfangen kann. Übrigens schon immer).
Die Grundüberlegung zur Stadt ist die Folgende: Was viele nicht wissen, ist dass „Gotham“ schon vor Batman eine gängige (oder wenigstens des öfteren verwendete) Bezeichnung für New York war. Und dass dieses Gotham nichts anderes ist als die britische Version von Schilda, also eine Gemeinde (in Nottinghamshire, England) deren Bevölkerung man einen gewissen Hang zu stussigem Verhalten andichtete.
Was ich tun möchte, ist im Prinzip die Entwicklung von New York hin zu Burton’s Gotham City (Batman Returns) für Berlin zu spielen. Streng genommen könnte ich also die Stadt „Schilda“ nennen. Das Ganze hingegen zu deutsch zu spielen, da geht mir dann zu viel des klassischen Pulp verloren, und ich öffne zugleich eine Assoziationskiste die ich in diesem Setting gerne mal zu lassen möchte (Germania, Nazis). Spannend hingegen finde ich wieder den Gedanken der „Welthauptstadt“, da dies den Konflikten rund um die Charaktere mehr Relevanz gibt – und etwas mehr Plausibilität schafft, warum eine Stadt sich zu Metropolis-artigen Dimensionen inklusive Hochbahnen auf mehreren Ebenen und innerstädtischem Zeppelin- und Flugzeugverkehr entwickeln konnte.
Unterm Strich werde ich also die Welt kurzerhand neu erfinden, etwa in der Art wie es bei Valkyria Chronicles geschieht. Das heißt die Schluchtenstadt steht in Europa, aber eher auf der Position von Paris, und „unsere“ Nationen hat es nie gegeben. Europa ist (meistenteils) vereint, hat ein aggressives Kaiserreich im Osten, mit dem es politische Spannungen gibt, und Amerika hat sich nie aus dem Stadium einer europäischen Kolonie erhoben.
Die Mega-Metropole ist ein stilistischer Mischmach aus London, Paris, Berlin, Metropolis und Gotham City: Namen von Orten und Vierteln sind überwiegend dem Englischen, einige aber auch dem Deutschen oder Französischen entlehnt. Mal sehen was funktioniert. Zum Stadtzentrum hin ist das Viertel weniger entscheidend, wichtiger wird die Ebene, also die „Etage“ in der man lebt oder vor sich hin vegetiert (was wiederum von Necromunda inspiriert ist, wobei der ständige Nebel in den unteren Ebenen wiederum durch Das Fünfte Element inspiriert ist). Architektonisch und was die Details von Kleidung etc. angeht ist das Ganze sehr gothic – Underworld, Hellboy, Liga der außergewöhnlichen Gentlemen, Batman Returns, Dark City – und sollte ich es wieder Erwarten zumindest gelegentlich hinkriegen einen Chandler-mäßigen One-Liner einzuwerfen wäre ich im Himmel (man wird ja noch träumen dürfen).
Als „eigentlichen“ Namen der Stadt – neben der zentralen umgangssprachlichen Bezeichnung der City als „Schluchtenstadt“ natürlich – könnte ich mir BIG EDEN CITY (mit bewusster Berliner Anspielung) oder auch EUROPIA (als europäische und damit selbsterklärte Welthauptstadt) oder selbst LUTECIA (abgeleitet von dem alten Namen von Paris) vorstellen. Große Teile der restlichen Welt werden ausgeblendet – auch die Stadt selbst wird auf wenige Viertel und Locations beschränkt, die dann als Liste an die Spieler gegeben werden um sie mit einem Grundstock an Locations zu versorgen (weitere/eigene können sie im Spiel ja jederzeit aus dem Ärmel ziehen).
Ach ja: Geld gibt es nicht in Form von Münzen und Scheinen, sondern nur in Form von (zertifizierten) Chips. Und die sehen exakt wie Pokerchips aus (die wir auch für’s Chi verwenden). Statt Yin und Yang werden wir die beiden Seiten der Medaille Defense und Offense nennen. Oder Hit und Run. Oder Austeilen und Einstecken. Oder Guts und Glory. Oder Licht und Schatten. Oder Blanche et Noir. Oder …
Aufhänger der Story ist die freimaurerisch-logenartig inspirierte LIGA einerseits und die terroristisch-syndikalistische HAND unter der Kontrolle eines angeblich toten oder eingeknasteten Masterminds andererseits. Spielercharaktere sind entweder Veteranen der Liga, die vor 20 Jahren gegen die Hand kämpften und besiegt glaubten und dafür fast alles geopfert haben oder aber Kinder oder andere Verwandte von im Kampf gefallenen Liga-Mitgliedern, die auf der Abschussliste der Hand landen. Die Motivation der Charaktere zusammenzuarbeiten ist ganz nach Wahl des Spielers entweder eine ethische (der Philosophie der alten Liga entsprechend, eine letzte Grenzlinie gegen Korruption und Terror zu ziehen), eine auf Rache basierende (z.B. Rache für den Mord der Eltern oder Rache für eine damals erlittene Verkrüppelung oder wirtschaftlichen Untergang) oder eine rein pragmatische (Selbstschutz vor den Mordplänen der Hand). Meiner Meinung nach ist ein Reiz des Settings gerade dass die Gruppenbildung über drei separate Grundansätze hinweg funktioniert, die Charaktere aber unterschiedlichste Grade von Licht und Schatten aufweisen können – bis hin dazu dass einzelne „Helden wider Willen“ sind. Oder sogar vorhaben könnten die Seite zu wechseln, wenn man sie ließe.
Schwierig wird es natürlich bei einem solchen Patchwork-Setting sein, alle Spieler unter einen Hut zu kriegen und einen von allen getragenen Spielstil und gemeinsame Vision der Welt zu geben. Um das zu begünstigen, werde ich mit ein paar Hausregeln versuchen zumindest am Anfang etwas zu regulieren (ohne den Wushu Gedanken zu kompromittieren). Sollte Wushu hier scheitern – wie gesagt – werde ich auf das gleichfalls sehr cineastische D6-System umsteigen.
Soweit der erste Stand der Skizzen …

(aus „Metropolis“)
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