Shadowrun | Berlin: Retroshock

 

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Berlin 2073. Schwarze Zone Pankow, Konradstraße. Im Hintergrund zu sehen die für die Zone typischen "Produktenschilder", die auf kleine Läden, Produktenlager und Destillen in Hinterhöfen, Kellern und Wohnungen hinweisen.

 


Willkommen im 19. Jahrhundert

// Dateiupload von TOLSTOI // 09.10.2073 – 10:00:00

Fast alle Medien, die sich mit der Anarchie in Berlin beschäftigten, thematisierten den Rückfall des Lebens auf eine primitivere Stufe und schufen damit quasi die Mär von Gesetz und Pizzabringdienst als Garanten für „das Leben, wie wir es kennen“. Was hingegen beginnend von den frühesten Berichten der F-Zeit bis quasi offizieller Anerkenntnis der „Berliner Rückbesinnung“ als bewusstem Kulturtrend aus der Ex-Hauptstadt weder verstanden und noch dargestellt wurde, ist, dass dieser Rückfall zwar durchaus geschehen ist, sich aber seit gut 15 Jahren stabilisiert und vor allem: normalisiert hat.

Betrachtet den Post hier als Stub und Overview zu einem Thema, das wir bzw. ich im aktuellen Berlin Upload viel ausführlicher behandeln. Die weitgehende Abwesenheit von matrixabhängigen Strukturen hat seinerzeit entgegen einigem Geflame, was Nakaira dazu im Upload bringt, die anarchistischen Gebiete Berlins weitgehend heil durch den Crash gebracht. Tatsächlich lief das Leben dort – bis zur Konzernblockade – so normal weiter, dass man das wahre Ausmaß des Crash hier gar nicht so wirklich mitbekam (abgesehen von einer großen Plündertour durch die Randgebiete des Konzernsektors, als bei denen und entlang der flutlichthellen Sektorengrenze (dem antianarchistischen Schutzwall) „die Lichter ausgingen“). Seitdem Wifi einfach mal DAS Thema geworden ist, ist auch in der Zone der „Haben Will“ Faktor stärker geworden, und viele vor allem jüngere Leute sind genervt vom statischen Rauschen oder dem völligen Fehlen von Kontakt in manchen Gegenden. Dass es zudem im Osten regelrecht Kieze gibt, die von irgendwelchen revolutionären F-Komitees mit Störsendern förmlich blockiert werden („Wider das kapitalistische Spam- und Spy-Web!“) hat in jüngerer Vergangenheit zu einigen Spannungen geführt. Spannungen, die konzernseitig durchaus geschürt werden, versteht sich.
Konoppke

Mit Ausbruch der Anarchie in Berlin gehörte fast von Beginn an die stadtweite Stromversorgung der Vergangenheit an. Zwar waren die Kraftwerkseigner sehr flink darin, ihre Anlagen zu sichern, eine Grundversorgung konnten aber auch sie nicht aufrecht erhalten. Teilweise lag dies am Zusammenbruch des geregelten Zahlungsverkehrs, teilweise an technischen Tücken wie etwa der Notwendigkeit, in ein Haus hineingehen zu müssen, um ihm den Saft abdrehen zu können.  Eine Weile lang versuchten sich die Energiekonzerne mit Lösungen auf Kiezebene über Wasser zu halten – also jene Teilnetze abzuschalten, wo ein gewisser Quotient von Stromabnehmern, die ihre Rechnung tatsächlich zahlten, unterschritten wurde – teilweise wurde einem auch die Entscheidung abgenommen, da rivalisierende Energiesyndikate massive Sabotage an den Netzen betrieben.

Äh. Irgendwie fehlt mir hier die Info was dann weiter aus den Kraftwerken etc. wurde…
Blitzen

Als klar war, dass der Ofen in Berlin aus ist, haben die meisten Konzerne versucht, ihre Kraftwerke zu plündern und anschließend zu verplomben. Natürlich blieb der Abtransport und die Demontage der Tech nicht unbemerkt und aufgebrachte Berliner versuchten dagegen zu protestieren – dabei kam es dann an mehreren Kraftwerken zu gewalttätigen Ausschreitungen, vor allem nachdem irgendwer Kontingente osteuropäischer Söldner dazu anheuerte die Kraftwerke gewaltsam zu übernehmen. Wieviele Söldner und Sicherheitsleute damals starben, da gehen die Meinungen drüber auseinander. Ebenso dazu, wer wann welches Kraftwerk wie lange hielt und wohin die Tech verschoben wurde. Geht man nach den offiziellen Angaben, verloren die Energiefirmen „alles“ und machten entsprechende Multimillionenforderungen gegenüber den Versicherungen bzw. teilweise der ADL geltend (von wegen Verantwortung für das Fiasko), fest steht aber ebenso dass mehrere Schwerlasttransporte mit Tech unter schwerster Bewachung sauber von den Eignern weggeschafft wurden. Am Ende gingen selbst jene Blocks, die von Energiesyndikaten erobert wurden, nicht mehr ans Netz, da zu viel beschädigt bzw. gestohlen worden war. Die Kraftwerke verfielen danach, dienten auch gerne mal Gangs oder den besagten Söldnertrupps als HQ. Diejenigen Kraftwerke, die dann in Konzerneinflussbereich kamen, wurden kurz begutachtet, nicht rettbar befunden, abgerissen und es wurde neu aufgebaut.
Konnopke

Oder auch nicht. In der Mehrzahl der Fälle fand man es sei sicherer und wirtschaftlicher, das Berliner Netz zu überregionalisieren, d.h. mehr Energie von außen einzuleiten als früher. Ruhr Nuklear lässt es sich trotzdem nicht nehmen einen großen Reaktor zu bauen – in Tempelhof, duh – aber der geht frühestens in 10 Jahren ans Netz. Irgendwas von wegen revolutionäre neue Energietechnik blah blah.
Clipload24

Als dann in den 60ern die Konzerne kamen und die Stadt unter sich aufteilten, kam damit noch lange keine stadtweite Energieversorgung zurück: Wie überhaupt in allen Verwaltungs- und Versorgungsfragen war jeder Konzern zunächst rein auf seine Eigenversorgung bedacht: Die konzerneigenen Gebiete wurden schon davor vom anlageeigenen Kraftwerk bzw. einer Mikrowellenanbindung per Konzernsatellit versorgt – diese Eigenversorgung wurde lediglich ausgebaut und schrittweise dem neuen Konzernwesten angeboten und in Rechnung gestellt.

As said: Mehr dazu im Berlin Upload.
Konnopke

Was sich der Berlinfremde aber als stromlose, postapokalyptische Steinzeit vorstellte – nämlich die Lage der Anarchogebiete seit Zusammenbruch der Gesamtversorgung – hatte für die
betroffenen Zonen (zunächst ganz Berlin, dann nur noch die Ostzone, heute nur noch einige Alternative Gebiete vor allem im Osten, die sich hartnäckig aller Ruhr-Nuklear Verträge erwehren) lediglich folgende Veränderungen gebracht:

Stromversorgung wurde Nahversorgung.

Statt sich darauf zu verlassen, dass Strom aus der Steckdose kommt, haben viele Berliner Wohnkooperativen, Mietsyndikate und Blocksowjets Solarzellen auf dem Dach oder Generatoren im Keller ihrer Häuser installiert. Diese wurden und werden, wo es sie noch gibt, gemeinschaftlich genutzt und ebenso bezahlt.

Wobei „bezahlt“ nicht immer Geld meint. Alternative Paymentsysteme, Tauschhandel, Naturalien und IOUs und so. *schnurr*
DailyFicks

Ich rate Dir GANZ „fix“ Dein Login zu ändern, or else!
Daisy Fix

Schluss mit Überfluss.

Solarzellen haben begrenzte Leistung, Treibstoff getriebene Generatoren sind teuer, also versuchte jeder, seinen Stromverbrauch zu reduzieren. Neben Niedervoltleuchten wurden auch Petroleumlampen und sogar Kerzen wieder „en Vogue“ in Berlin, speziell in den Bars und Kneipen – eine aus der Not geborene Neuerung, die heute als so typisch Berlinerisch gilt, dass daraus quasi eine postanarchistische Lebenseinstellung mit leicht grünem und auch konsumfeindlichen Touch geworden ist.

In dem Sinne begrüßen wir natürlich dass das BERVAG-versorgte Gebiet schrittweise wächst: Je näher der nächste angeschlossene Block, desto weniger weit muss man Kabel spannen um sich einzulöten. *fg*
Volthunter

Jup, finde den Artikel da auch schon nicht mehr ganz up to. Die Osties haben ganz viel nachzuholen, und aktuell scheint mir da eher ne Generation ranzuwachsen denen die Geräte gar nicht genug Strom fressen können. Das Pendel schlägt halt wieder in die andere Richtung.
Frank Furt

Der Wahnsinn hat Methode: Ich hab mir mal von nem Teen in F-Hain auseinanderklamüsrn lassen dass ja nicht er für den Strom zahle, sondern irgendwelche angepassten Konzernwichser, deren Volts er absaugt. Ausgehend von dieser Panne Ruhr-Nuklear Reklame dass Stromdiebstahl massiven wirtschaftlichen Schaden anrichtet sagt er also: Je mehr ich klaue, desto mehr schade ich den Konzernen und dem Corporate Way of Life. Da macht dann auch das mit Markenlabels überhäufte Kid schwer einen auf Sprawlguerilla, dabei findet er es einfach nur cool nen fingergroßen Player an mehrere schrankgroße Boxen anzukoppeln und diese auf Max die Bässe rauswoofen zu lassen.
Plumberjack

Schwer cryo Speek, Atze. Was bist Du, 30er Jahre Gammelfleisch?
Zeelyte

Die große Verdunkelung.

Die Straßenbeleuchtung in Berlin wurde frühzeitig vom Strom abgetrennt, da mit der Berliner Verwaltung auch der Rechnungsempfänger für die öffentliche Beleuchtung fehlte und sich dieses geschlossene Netz überaus einfach und gründlich abschalten ließ (quasi zusammen mit den Ampeln, die eh keiner mehr brauchte). Innerhalb kürzester Zeit fehlte aber nicht nur der Strom, sondern auch die Anlage, die er früher betrieb: Ganze Heerscharen von Metall-, Kabel-, Trafo- und Relaisdieben wühlten sich über Jahre durch die Stadt und raubten alles, selbst das was niet- und nagelfest war.

Warum Vergangenheitsform? Das Klaften geht weiter. Und netterweise bauen jetzt die Konzerne immer wieder neue Anlagen hin. The Circle of Life…
Rujevit

Du sagst es, Bruder.
Svantevit

Natürlich drängten die Konzerne in ihren Sektoren die Dunkelheit schnell zurück – meist sogar mit Flutlichtmasten, die nach wie vor das öffentliche Bild vieler Plätze dominieren (sie, und ihre am Mast verbaute Phalanx von Sniffern, Scannern und Kameras). Erst seit der Einigung nimmt die öffentliche Beleuchtung wieder etwas normalere und weniger nach Kriegszone aussehende Formen an: Ein neues Netz von Beleuchtung ist entstanden, das jedoch vielerorts im Osten noch plötzlich abbricht. Im Ergebnis sind Berliner Nächte in einigen Alternativen Bezirken nach wie vor SEHR dunkel, was natürlich gewissem lichtscheuem Gesindel exzellent in den Kram passt.

Gas, Wasser, Scheiße

Die gleichen Grundprobleme der zusammenbrechenden überregionalen Versorgung treffen auch Gas und Wasser, und wiederum haben sich hier zu F-Zeiten neue Strukturen zur Behebung des Problems entwickelt, die heute im gleichen Maße, wie Regel- und Konzernbezirke zur Normalität finden, wieder verschwinden.

Mom, in Berlin gibt’s noch immer Gasanschluss??
SuperAtario

Aber freilich! Seit sie das große Feld bei … äh … irgendnem russischen Ort ohne Vokale gefunden haben, back in the 20s, hängt Berlin wieder an der Pipeline. Gab Ausfälle im Eurokrieg, aber Immergaz und Co. flicken die Pipe immer wieder und deren Leute halten auch in Berlin das Netz am Laufen. Da sind die Konzerne völlig raus, das sind reine Vory Operations.
MeetTheBeatles

In den Alternativen Bezirken hingegen gibt es vielerorts weiterhin z.B. klassische Wäschereien (oft mit Handwäsche, da menschliche Arbeitskraft in Berlin noch immer billiger als Hi-Tech und Strom ist), geheizt wird noch immer verstärkt mit Briketts (und früher eben leider auch Holz, was viele Berliner Bäume das Leben gekostet hat) und für die Wasserversorgung werden öffentliche Handpumpen, zuweilen hauseigene Motorpumpen und – wenn man es sich leisten kann – Wasser aus Flaschen bzw. Kanistern benutzt.

Wichtiger Satz: In Berlin ist Arbeitskraft billiger als HiTech. Gilt für ALLES!
StufferPlusSklave44

Das massivste Problem in Berlin zu F-Zeiten – und ein Problem, an dessen Spätfolgen Berlin noch lange zu knabbern und Proteus noch lange verdienen wird – stellt die über Jahre nicht ordentlich erfolgte Abfallbeseitigung und die oft schwerwiegende Verseuchung des Wassers durch Schäden in den Abwasserleitungen und „Straßenentsorgung“ von Kloakenabfällen dar. das Alternative Berlin hat trotz aller neueren Maßnahmen dagegen nach wie vor die höchste Cholera-Neuinfektionsrate von allen Städten in Europa (inklusive Venedig!), und in Bezug auf die Kleinkindersterblichkeit nimmt Berlin weiterhin einen unrühmlichen Spitzenplatz ein.

Berliner Abwasserkrieg. Freut euch drauf. Da rummst es nochmal tüchtig.
Karl Eidoskop

So traurig es ist, das festzustellen: Der Wegfall der Gesetze mag zwar aus dem Normalberliner keinen Serienkiller gemacht haben, wie die Medien es immer gerne und reißerisch fabulierten, aber nur zu leicht bewegte es ihn dazu, nachts Müll im Nachbarblock abzuladen, das ausgediente Sofa einfach vor die Wohnungstür zu schieben oder den kaputten Kühlschrank gefüllt mit Plastiksächen voll Hygieneabfällen auf die Straße vorm Haus zu werfen.

Natürlich gab es auch zu F-Zeiten Syndikate, welche den Abtransport der Abfälle anboten: Aber erstens weigerten sich viele Berliner beharrlich, für Müll vor der Haustür zu bezahlen, den Leute aus einem anderen Block dort abgeworfen hatten, und zweitens arbeiteten jene Abfallfuhren auch nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit. Und das bedeutete – und bedeutet in vielen Bezirken noch immer – dass sie allzu oft die gesammelten Abfälle nur ein paar Straßen weiter wieder abkippen oder – was noch schlimmer ist – sie werfen sie in Spree, Havel oder Panke. Was immer mit ihnen geschieht: Den Weg zu den Deponien finden sie in den seltensten Fällen.

Was soll mit ihnen schon passieren? Wer immer für das Ausbaggern der Wasserwege zuständig ist holt das Zeug raus und entweder wird es ordentlich entsorgt oder in einem der Jauchekäffer abgeladen.
Der Letzte Eiserne

Rücksichtslosigkeit und Gedankenlosigkeit waren die beiden kritischsten Faktoren im Berliner Leben unter dem Status F. Überall, wo er in der einen oder anderen Form noch gilt.

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